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Maßarbeit im Minutentakt: Reportage von der Leitstelle am Europa-Park Stadion

Die Koordination der ein- und ausfahrenden Straßenbahnen am Europa-Park Stadion ist ein logistisches Puzzlespiel. Wir haben dem VAG-Team an der neuen Leitstelle beim ersten Bundesliga-Heimspiel über die Schultern geschaut.

Im Stadion ist Anpfiff. Um 15.30 Uhr hat Dietmar Gemander jetzt Zeit für einen Kaffee. In den zwei Stunden zuvor war für den Fahrdienstleiter an der Leitstelle am Stadion nicht an eine Pause zu denken. Er hat Fahrzeuge koordiniert, angewiesen, auf welche Steige sie Einfahren sollen, ihnen freie Bahn gegeben oder sie ausgebremst, um Straßenbahnen in Richtung Stadt durchzulassen. Nun feuern die Fans im Stadion den SC an. Dietmar Gemander gönnt sich eine kurze Auszeit.

„Das wäre ne echte Betriebsstörung, wenn kein Kaffee mehr da ist“, sagt Gemander und lacht. „Alles andere kriegen wir hin.“ Eben musste er noch „ein bissl rangieren“, wie er es ausdrückt. Nun stehen die ersten Straßenbahnen schon wieder an der Haltestelle „Europa-Park Stadion“ in ihrer Startposition. Bereit für den Rücktransport der Fans in Richtung Innenstadt.

Dietmar Gemander in der Leitstelle am Europa-Park Stadion

900 Meter zum Stadion

4,80 Meter hoch ist der Leitstand am Stadion, wo Dietmar Gemander von nun an bei vielen Heimspielen des SC einen Teil seiner Wochenenden verbringen wird. Rund 900 Meter sind es von hier zum Stadion, die Panoramafenster geben einen perfekten Überblick über die drei Bahnsteige oder die Straße zum Stadion, über die eben noch Autofahrer und Fußgänger zum Heimspiel geströmt sind.

„Einige Fahrerinnen und Fahrer müssen jetzt noch ihre Stadtbahnzüge tauschen“, erklärt der 53-Jährige. Denn das Fahrpersonal ist für ganz bestimmte Strecken eingeteilt. Für die Rückfahrt gibt jeweils das persönliche Kursbuch vor, in welcher Zugfolge sie unterwegs sein werden.

An insgesamt neun Computer-Monitoren haben Dietmar Gemander und die anderen Verkehrsmeisterinnen und Verkehrsmeister im Leitstand die Lage im Auge. Drei Monitore zeigen die Aufnahmen aus den Videokameras, die den Verkehr an den zentralen Knotenpunkten der Stadt überwachen. Die Situation an der Wendeschleife der Messe haben sie so im Blick, ebenso die Knotenpunkte an Rathaus im Stühlinger, Bertoldsbrunnen oder Paduaallee. Andere Monitore zeigen Kurspläne oder die Positionen sämtlicher Fahrzeuge im Streckennetz. Farbliche hervorgehoben ist, ob die Kurswagen auch pünktlich sind. Fast alle Anzeigen leuchten grün.

Rund zwei Stunden vor Spielbeginn nimmt der Andrang der Fans am Stadion zu.

Ansturm der Fans

Rund eine Stunde vor Spielbeginn spucken die Straßenbahnen die meisten Fans aus. Im Minutentakt rollen die Bahnen in Richtung Haltestelle „Europa-Park Stadion“ ein. Viele Eilzüge kommen an, dazu die regulären Straßenbahnen der Linie 4, in denen gerade deutlich mehr Fahrgäste sitzen als in den Sonderlinien. Ordner – im Alltag der VAG Standposten genannt – weisen den Fußweg in Richtung Stadion, kontrollieren, ob die Bahnen tatsächlich leer sind und beantworten Fragen. Dietmar Gemander ist per Funk mit dem Fahrpersonal in Kontakt und ab 13.30 Uhr in seinem Element:

„Nummer 252: Es geht gleich für Sie los.“

„Wagen 274 – langsam machen, genießen Sie gleich die Einfahrt auf Bahnsteig B. Bitte Tür links öffnen“

„275 – ich suche gerade nach einer Landebahn für Sie.“

„An den Urbos an der Suwonallee – bitte vorrollen und Anmeldung holen“

„Haben Sie gerade 257 gesagt?“, kommt die Frage über Funk. „Ja“, antwortet Gemander. „Herzlich Willkommen am Stadion.“

„305 – Sie werden freudig erwartet.“

Die Zahlen stehen für die Wagennummern. Jede Freiburger Straßenbahn hat eine eigene Nummer. Von der ersten Bahn, die 1901 in Betrieb ging – aber aktuell nicht betriebsfähig ist – bis zu den neuen Urbos Fahrzeugen, die mit Beginn der Nummer 301 vor wenigen Jahren ein neues Fahrzeug-Zeitalter eigeläutet haben.

Die Haltestelle Europa-Park Stadion ist die einzige mit drei Haltepositionen für die Bahnen.

Maßarbeit bis zum Halt

Die Einfahrt auf den Bahnsteigen am Stadion ist Maßarbeit. Vor allem dann, wenn zwei der jeweils 42 Meter langen Combino- oder Urbos-Straßenbahnen hintereinander auf die Bahnsteige rollen. Dann lotst der Fahrdienstleiter das Fahrpersonal auf den letzten Metern bis zur exakten Halteposition. „Jetzt noch ein kleines Stück bis zum Halt. Perfekt. Links öffnen und dann ablöschen.“ Ablöschen meint, dass die Türfreigabe nach dem Ausstieg zurückgenommen wird und die das Fahrpersonal die Fahrt für die Weiterfahrt bereitmacht.

Bis zu 10.000 Fahrgäste werden so pro Stunde zum Stadion an- oder abtransportiert. Gerade die Anfahrt der Fans ist eine logistische Herausforderung: Denn die Straßenbahnen, die aus der Innenstadt ankommen, setzen bei der Einfahrt vom rechten aufs linke Gleis über. Der Ausstieg ist außergewöhnlicher Weise für Freiburg auf der linken Seite. Die Fahrzeuge aus der Gegenrichtung werden über die Weichenanlage um die stehenden Bahnen manövriert. Die Haltestelle Europa-Park Stadion ist die einzige in Freiburg mit drei Bahnsteigen – gerüstet für Massenandrang der Fans.

Zwei VAG-Kollegen koordinieren den Aus- und Zustieg der Fans.

Bereit für die Abfahrt

Um 17.20 Uhr lässt Dietmar Gemander die Jalousie herunter, damit die Sonnenstrahlen, die aus Richtung des Stadions in die Leitstelle scheinen, weder die Sicht auf Monitore noch auf die Umgebung behindern. Unten haben sich die VAG-Ordner in Stellung gebracht. Während des Spiels sind nach und nach leere Bahnen von der Bissierstraße oder direkt vom Betriebshof der VAG eingetroffen. Inzwischen stehen 15 Fahrzeuge an der Wendeschleife oder an der Zufahrt zur Haltestelle „Europa-Park Stadion“ für den Abtransport bereit.

Um 17.25 Uhr kommen die ersten kleinen Grüppchen Fans, werden über das digitale Leitsystem und Sperrgitter zu den entsprechenden Bahnsteigen gelotst. Der Andrang wächst minütlich. Dietmar Gemander koordiniert die einzelnen Fahrzeuge auf die verschiedenen Gleise: A – Richtung Zähringen über Friedrich Ebert-Platz, B – nach Bissierstraße, Haid, Paduaallee und Landwasser, C – zum Hauptbahnhof und Bertoldsbrunnen/ Stadtmitte.

„Das Fahrzeug am Bahnstieg A bitte Türen geschlossen halten und langsam durchfahren bis zum Steig C.“

„Nummer 308 bitte Abstand beibehalten.“

„Leitstelle an Standposten B: Wie ist der Füllstand des Fahrzeugs?“ „Gut, dann bitte ablöschen und Losfahrt.“

„Urbos an der Madisonallee – wie ist Ihr Fahrziel bitte?“

Lagebesprechung in der Leitstelle

Kurze Wartezeit

An den Bahnsteigen regulieren die Standposten den Zustrom zu den Gleisen. „Die Schiebetüren werden geschlossen, damit es keinen Druck aufs Fahrzeug gibt“, erläutert Fahrdienstleiter Karsten Müller, der heute zusammen mit Dietmar Gemander Dienst hat. „Zwei Wagenfüllungen, mehr Personen warten nicht vor der Haltestelle“, sagt Müller. Wegen der hohen Taktung der Fahrzeuge bleiben die Wartezeiten gering. Der Abtransport verläuft reibungslos. Gegen 18:45 Uhr wird es spürbar ruhiger.

In den nächsten Tagen werden sämtliche Erfahrungen und Rückmeldungen von Ordnern und Fahrpersonal, aber auch Kundenrückmeldungen ausgewertet, um weitere Stellschrauben in der Logistik anzupassen und die Fahrten weiter zu verbessern. Dietmar Gemander ist fürs Erste zufrieden.

Die Anlage ist auch für das Team der Fahrdienstleitung noch neu, die Situation hier sei aber kein Vergleich zu den Spielen im alten Stadion und der Haltestelle „Römerhof“. Dort mussten die Verkehrsmeister die Fahrzeuge direkt vom Bahnsteig aus per Funk koordinieren. Bei Wind und Wetter.

Kaffee gibt es jetzt keinen mehr. Dafür noch Gespräche mit den Kollegen über die erste Bilanz des Tages. 1:1 hat der SC gespielt. Vom Spiel hat das VAG-Team nur die Zwischenstände mitbekommen.

Dafür entschädigt der Blick aufs Stadion und die untergehende Sonne.

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